Flora Geißelbrecht
Flora Geißelbrecht – In und durch die Musik der Zeit
Bevor wir Ihnen die Komponistin Flora Geißelbrecht vorstellen, gratulieren wir ihr herzlich, sie ist offiziell Preisträgerin der Oberösterreichischen Talentförderungsprämie für Musik! Seit einer Weile hatten wir die junge Komponistin „im Visier“. Nach der Aufführung von „Der Riss in der Tapete“ im Wiener Musikverein war es so weit. Wir freuen uns über und auf die Zusammenarbeit.
About
Flora Geißelbrecht ist eine österreichische Komponistin, Interpretin und Performerin. Ihr besonderes Interesse gilt der Musik unserer Zeit und der musikalischen und interdisziplinären Interaktion. Sie studierte im Bachelor Komposition, Kompositionspädagogik und Viola an der KUG Graz und im Master Viola mit Schwerpunkt auf zeitgenössischer Musik an der MUK Wien. Derzeit ist sie Akademistin bei der Internationalen Ensemble Modern Akademie in Frankfurt.
Musik – und Sprache
Flora Geißelbrechts Musik setzt sich oft mit Text, Sprache oder Stimme auseinander. 2014 gewann sie den Kompositionswettbewerb der INÖK (Interessensgemeinschaft Niederösterreichische KomponistInnen) und der Academia Allegro Vivo zum Gedenkjahr 1914 der österreichischen Friedensnobelpreisträgern Bertha von Suttner mit einer Vertonung derer Texte. 2017 war sie im Team mit Tahir Ibishov Finalistin und Anerkennungspreisträgerin des Wiener Filmmusikpreises, 2019 gewann sie in der Funktion als Bratschistin und Komponistin in einem interdisziplinären Beitrag den FidelioWettbewerb in der Kategorie „Kreation“.
Who is Who der Interpret*innen
Ihre Werke wurden von Interpret*innen wie Anna Maria Pammer, Wolfgang Holzmair, dem Ensemble Kontrapunkte, dem Ensemble Reconsil, dem Ensemble CrossNova und dem Styriarte Festival in Auftrag gegeben und zur Uraufführung gebracht. Als Bratschistin trat sie mehrfach solistisch bei Wien Modern und im Ensemble beim Unsafe and Sounds Festival, Impuls Festival und den Wiener Festwochen auf. 2019 nahm sie außerdem als Kunststipendiatin am Europäischen Forum Alpbach teil.
Lockdown
Im und nach dem Lockdown 2020 entstand ihr erstes Soloprogramm, das ausschließlich eigene Kompositionen für Viola und Stimme umfasst. Dabei führt Flora Geißelbrecht ihre verschiedenen Kenntnisse und Fähigkeiten aus den Bereichen Neue Musik, Folk, Jazz, Improvisation, Komposition und Lyrik zu einem sehr persönlichen Ganzen zusammen. Teile davon wurden bereits beim Europäischen Forum Alpbach 2019 oder dem Forum Lockenhaus 2020 zur Aufführung gebracht. Flora Geißelbrecht ist Teil des Imaginäre-Folklore-Trios „Alpine Dweller“ (New Austrian Sound of Music Ensemble 2018/19) und der Duos „Milleflör“ und „Mädel und Wiesel“ als Bratschistin, Harfenistin, Sängerin, Komponistin und Liedtexterin.
In ihrer Freizeit kocht sie gerne mit vielen Gewürzen und bäckt Sauerteigbrote.
Die Komponistin über ihre Werke
Der Riss in der Tapete
„Was ich zum Stück sagen kann? … in der Tapete ist ein Riss … dahinter spielt jemand Musik … auf der anderen Seite fadisiert man sich noch … die Uhr tickt … hinter die Fassade geschaut … traut man sich nicht auf die andere Seite … wie lang die Welt noch steht? … nur nicht nervös werden … sie bricht uns schon unter den Füßen weg … mehr als ein Riss … Das Stück wurde inspiriert durch diverse Gedichte von Ute Schlerath. Das Werk entstand auf Einladung des Ensembles Kontrapunkte und wurde am 29. Jänner 2020 im gläsernen Saal des Wiener Musikvereins uraufgeführt. Ich bedanke mich für die großzügige Unterstützung des SKE-Fonds der Austromechana.“
Linien- und Strichquartett
„Ende November 2015 verbrachte ich ein Wochenende in Salzburg, um einige Konzerte des Dialoge-Festivals zu hören, unter anderem das nicht allzu oft aufgeführte 2. Streichquartett von Morton Feldman. Über 5 ½ Stunden lauschte man den repetitiven Klängen und konnte außerdem die zahlreichen filigranen Draht-Mobiles betrachten, die überall im Raum aufgehängt waren. Dadurch, dass sie sich durch minimalste Bewegungen im Raum zu drehen begannen, fand man immer andere Aspekte in diesen abstrakten Figuren mit konkreten Elementen (wie z. B. Gesichtsprofil), und es wurde auch nach Stunden noch nicht langweilig. Mich hat dieses Erlebnis sehr beeindruckt. Im März 2016 besuchte ich dann die Ausstellung „Musik zähmt die Bestie“ im Kunsthaus Graz. Durch Zufall fand ich heraus, dass diese Ausstellung, die mich aufgrund des Titels und Plakats angesprochen hatte, von demselben Künstler war, wie die Mobiles in Salzburg – Constantin Luser, ein junger Grazer. Diese umfassendere Ausstellung beinhaltete ebenfalls einige große Drahtmobliles, zeigte mir aber auch andere Aspekte Lusers. Einerseits waren das Zeichnungen auf dem Museumsboden (z. B. künstliche Schatten der aufgehängten Mobiles), andererseits die im Vordergrund stehenden interaktiven Skulpturen aus Musikinstrumenten, die der Ausstellung den Namen gegeben hatten.
Der Schlüsselmoment war für mich, als ich nach einigen Stunden wieder auf den Ausgang des Raumes zusteuerte du plötzlich direkt vor mir wie aus dem Nichts ein Drahtmoblie auftauchte. Durch den schwarzen Draht vor schwarzen Ausstellungswänden war es fast unsichtbar gewesen. Durch die plötzlich ganz andere Sensibilisierung sah ich auf einmal überall diese „Raumzeichnungen“, wo ich vorher, eingestellt auf die großen, sichtbaren, lauten Skulpturen, vorbeigegangen war. Ich ging die ganze Ausstellung mit anderen Augen zurück und entdeckte zig der spinnwebartigen Mobiles. Ich fragte mich, wie viele Leute wohl die Ausstellung verlassen hatten, ohne diese Entdeckung gemacht zu haben, die trotzdem beglückt von dem Rest waren.
Ich entschloss mich, das Erlebte in dem Streichqurtett zu verarbeiten, das sich der Cellist Andreas Pözlberger von mir gewünscht hatte. Die feinen, linearen und vielschichtigen Klänge eines Streichinstruments schienen mir dazu sehr geeignet. Die Uraufführung fand am 14. 09. 2016 in Regau durch das Quartetto Serioso statt.“
Constantin Luser: Musik zähmt die Bestie
Installations View, Kunsthaus Graz, Space01, 2016
© Manuel Carreon Lopez
Die Waffen nieder
„Mein Stück ‚Die Waffen nieder‘ ist eine Vertonung ausgewählter Zitate der österreichischen Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner für Kammerorchester und Bariton. Nervöse, unheilvolle Flüsterklänge bilden eine einstimmende Anfangsatmosphäre. Später kann man verfolgen, wie sich gegensätzliche Klänge räumlich aufeinander zu bewegen. Alles fängt harmlos mit ein paar langen Tönen auf der einen Seite des Raumes an, aber auf der anderen Seite macht sich schon der Gegner bereit. Wie aufmarschierende Truppen nähern sich die Klänge drohend einander und schaukeln sich dabei immer mehr gegenseitig auf.
„Die Waffen nieder“ ist der zentrale Ausspruch, mit dem der Sänger das Orchester zur Raison ruft. Eine Textpassage, die im Stück nicht wörtlich vorkommt, lautet folgendermaßen: „Das ist das Schöne an der Jugend, dass sie mit ebensoviel Hoffnung operiert, wie das Alter mit Erinnerungen“ – das versuche ich mir zu Herzen zu nehmen, und als junge Komponistin unserer Welt immer noch mit Hoffnung zu begegnen. Das Stück endet offen, aber nicht hoffnungslos. Die Texte von Bertha von Suttner sind heute noch genauso aktuell wie vor hundert Jahren. Der Aufruf zum Frieden gehört gehört!“ Mit dem Stück gewann die Komponistin den Kompositionswettbewerb, der 2014 von der Academia Allegro Vivo, dem Land Niederösterreich und der INÖK gemeinsam zum 100. Sterbejahr von Bertha von Suttner ausgerufen wurde. Die Uraufführung erfolgte beim Eröffnungskonzert des Festivals Allegro Vivo in Gmünd am 1. August 2014 durch den Bariton Wolfgang Holzmair und die Academia Allegro Vivo unter der Leitung von Bijan Khadem-Missagh. Das Werk erschien auf CD bei Gramola.
Florilegium
„Ein Florilegium, von lateinisch flos = Blume und legere = (zugrunde) legen, sammeln, also ‚Blütenlese‘ oder ‚Sammlung von Blumen‘ ist ursprünglich eine Bezeichnung für ein prachtvolles Blumenbuch, in dem Adelige des 16. / 17. Jahrhunderts als eine Art Statussymbol die botanischen Bestände ihrer Ziergärten festhalten ließen. Später versteht man darunter eine Zusammenstellung von Text-‚Blüten‘, also Zitate, Redewendungen oder kurze Texte. In dem kurzen Stück präsentieren Bratsche und Klavier auf eine recht ornamentale, verspielte Weise kleine ‚Klangblüten‘ und setzen sie sie zu einem schillernden Garten zusammen, das mitunter auch an die Art, wie Vögel ihre Gesänge bauen, erinnern kann.“
Uraufgeführt wurde Florilegium durch die Komponistin am 27. Juni 2017 im Rahmen ihrer Viola-Bachelorprüfung an der Kunstuniversität Graz.