BISCHOF Rainer
Hawa naschira. Acht Variationen für Violine solo op. 31
Erscheinungsdatum
1991
Besetzung
Violine solo
Opus
op. 31
Dauer
15'
Bestell-Nr.
03 066
Keine Medien vorhanden
Webshop
Beschreibung
Hawa Naschira für Violine solo, op. 31, entstand 1991 auf Anregung von Joanna Madroszkiewicz. Ausgangspunkt der Komposition ist ein jüdisches religiöses Volkslied, dessen Text etwa lautet:
Was ist des Menschen Gewinn bei all seiner Mühe, womit er sich müht unter der Sonne?
Unter der Sonne ist kein Gewinn, aber oberhalb, oberhalb der Tora ist ein Gewinn.
Das Lied steht in e-Moll und erklingt zunächst als Thema einstimmig in Originalgestalt. Daran schließen sich acht dodekaphonisch gearbeitete Variationen, die sich formal streng an das Thema halten, jedoch die Inhalte des Liedes mannigfach ausloten, und das nicht nur in kompositorischer, sondern auch in religiös-philosophischer Hinsicht. Das tonale Material dazu liefert die Zwölftonreih E - H - G - Cis - D - Dis - A - B - C - Fis - Gis - F.
Die Struktur dieser Reihe ist äußerst bemerkenswert, zerfällt sie doch in vier Dreitongruppen, die jeweils durch ein Tritonus-Intervall verzahnt sind. Davon ist die erste Gruppe eine reine e-MolI-Zerlegung, die zweite ein Chroma und die dritte sowie die vierte je eine diatonische Kombination. Dieser Aufbau garantiert ein Maximum an kompositorischer Freiheit und Vielfalt.
Die erste Variation lehnt sich rhythmisch noch äußerst deutlich ans Thema an. Zunächst einstimmig, deutet sie durch alternierend angespielte Tonlagen immanente Mehrstimmigkeit an, suggeriert Zerrissenheit, bevor sie „dolce“ in Doppelgriffen ausklingt. Die ruhige zweite Variation verarbeitet vor allem die triolischen Strukturen des Themas in Augmentation. Die Doppelgriffe der vorangegangenen Variation werden aufgegriffen, bald entwickelt sich kunstvolle Polyphonie, wobei eine Linie streng geführt wird, um von der zweiten durch¬führungsartig kontrapunktiert zu werden. Die dritte Variation wechselt sprunghaft zwischen unterschiedlichen Metren und Dynamikstufen. In ihrem Verlauf tauschen die Presto- und Adagio-Teile ihre Dynamik, schließlich verwischen sich die Kontraste immer mehr.
Die nun folgenden Variationen Nr. 4 und 5 sind äußerst kunstvoll ineinandergeschoben. Hier, an der Mittelachse des Werkes, wird auch der inhaltliche Zentralgedanke (These–Antithese–Synthese) durch komplexe Kompositionsstrukturen ausgelotet. Affinität zum Thema und Verselbständigung des Materials sind gleich dominant. Dies bringt übrigens auch nicht geringe technische Schwierigkeiten am Instrument mit sich!
Die letzten drei Variationen bringen die Komposition nach und nach wieder in Themennähe zurück. In Variation Nr. 6 schimmert kurz Material der Variationen 4 und 2 durch. Mit ihrem flatternden Charakter verkörpert sie eine durchaus positive Rastlosigkeit. Die 7. Variation bringt neben einer zögernd wirkenden Rhythmik erstmals energische Akkorde mit sich, endet aber in Pizzicato-Akkorden äußerst weich. Die abschließende 8. Variation lotet die Extremlagen der Geige aus und verdeutlicht so die Tragik menschlichen Seins.
Das Nebeneinander von Hoffnung und Zweifel, von Leiden und Trost ist Grundgedanke des gesamten Schaffens Rainer Bischofs. So entzündete sich sein Interesse sowohl als Komponist wie als Philosoph an den schlichten Zeilen des jüdischen Liedes, die eine derart komplexe Gedankenwelt beinhalten. Die Komposition „Hawa Naschira“ ist als religiöses Stück zu verstehen und ist eine Verbeugung des Komponisten vor der jüdischen Religion.
Rainer Bonelli
Inhalt
Rezension
Video files