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SHIH

Lebend'ges Land

Text: Charles S. Chiu nach Annette von Droste-Hülshoff

Untertitel

Oratorium für Soli, zwei gemischte Chöre, Kinderchor und Orchester

Erscheinungsdatum
1995
Besetzung
Geistliche Chormusik
Dauer
45'
Bestell-Nr.
Aufführungsmaterial leihweise

Keine Medien vorhanden

Beschreibung

Der österreichisch-chinesische Komponist Shih gilt seit seinen Werken „Stygische Elegie“ und „ ... fällt über dem Fluß die Nacht ein“ als Spezialist fürs Oszillierende, Transiente, Ambivalente. Wie sich (in der Droste-Collage „Lebend’ges Land“) aus Untergangsangst via meditativer Beschwörung zaghafte Zuversicht und neuer Lebenswille entwickeln, ist demzufolge ein Sujet, das ihn besonders reizen mußte.   Shihs bevorzugtes Mittel, Emotionen zu transportieren, ist der Mischklang, und da bietet die Kunstform Oratorium mit ihrer üppigen Besetzung (die im gegenständlichen Fall, mit den Rohrglocken im Orchester korrespondierend, sogar die Kirchenglocken des Veranstaltungsortes einbezieht) außerordentliche Möglichkeiten.   So, wie er, alles Gewaltsame verabscheuend, den Interpreten bewußt Freiraum für eigenes Agieren gewährt, sperrt sich Shih auch gegen jede ideologische Einengung und überläßt dem Hörer die Entscheidung, „Lebend’ges Land“ als geistlich-erlöserische oder als weltlich-ökologische „message“ zu begreifen. Das ist zugleich ganz im Sinne Annette von Droste-Hülshoffs, die in der von Charles S. Chiu erstellten Textvorlage mit Naturmystik ebenso zu Wort kommt wie mit Totenanrufung und Partikeln geistlicher Gesänge. Dem kühnen Kunstgriff, Elemente der Droste-Gedichte „Feuer“, „Winter“, „Die Taxuswand“, „Die Unbesungenen“, „Meine Toten“ und „Die ächzende Kreatur“ zu einem Gebilde sui generis zusammenzufügen, entspricht die Intention des Komponisten, den Übergang von der scheinbar totalen Auslöschung zum hoffnungsvoll Existentiellen in einer Musiksprache nachzuvollziehen, die an die Stelle der dramatischen Zuspitzung und des grellen Effekts das Schillernd-Mehrdeutige setzt. Noch in der schwärzesten Finsternis flackern Lichtstrahlen auf; umgekehrt bleibt die Überwindung der Misere frei von allem euphorischen Taumel; auch im neuerlichen Absturz kündigt sich Rettung an; und als diese zuguterletzt tatsächlich zum Greifen nah ist, sind ihr gleichwohl nichts ferner als Triumphalismus, Hymnus und Apotheose. Noch im befreienden Finale bleibt als memento der glücklich bezwungene Schmerz präsent. (aus dem Programmheft der Uraufführung)

Inhalt

Dunkel! All Dunkel schwer!   Wie Riesen schreiten Wolken her - Über Gras und Laub Wirbelts wie schwarzer Staub; Hier und dort ein grauer Stamm, Am Horizont des Berges Kamm Hält die gespenstige Wacht, Sonst alles Nacht - Nacht - nur Nacht.   Und alles Leben liegt zerdrückt, Wie unterm Leichentuch erstickt. Doch schau! An Horizontes Rand Begegnet mir lebend’ges Land.   (Annette von Droste-Hülshoff)

Rezension

Ein Naturereignis: Shihs Droste-Oratorium uraufgeführt   „Mancher Münsteraner horchte verblüfft nach oben: Am Sonntagabend um zehn vor zehn läuteten plötzlich die Glocken der Lambertikirche. Sie markierten das Ende eines höchst ungewöhnlichen Klangkitzels: des Droste-Oratoriums ‘Lebend’ges Land’ vom chinesischen Komponisten Shih. Es wurde am Abend des 200. Geburtstags der Dichterin uraufgeführt. Ein beachtliches Interpretenaufgebot - Chor und Orchester der Musikhochschule Münster, die Handorfer Kantorei, der Junge Chor Cantemus aus Emsdetten und das Orchester des Konservatoriums Enschede - vereinte sich zur 45-Minuten-Gratulation. Shih hat sich aus mehreren Droste-Gedichten eine lyrische Naturszenerie zusammenstellen lassen, die zwischen dunkler Bedrohung und sanften Hoffnungsschimmern wechselt. Die Musik gliedert sich entsprechend rhapsodisch und setzt auf atmosphärische Wirkungen. Sie beginnt mit einem hohen, sich immer mehr aufspreizenden Flageolett-Fiepen der Geigen, einem Naturlaut im Stile Mahlers. Tiefe Streichertöne brummen auf, breite Klangflächen türmen sich in gewaltigem Crescendo und enden mit harten Trommelschlägen. Unheimlich knurren die Bläser, der Chor summt wie beim ‘Rigoletto’-Gewitter, bis er die ersten Worte artikuliert. Mal bedrohlich in langanhaltendem Cluster-Donner, mal sphärisch abgehoben mischt sich die große Orgel à la Messiaen ein. Die Flöte pfeift, die Tuba spukt - man fühlt sich als Hörer wie der ‘Knabe im Moor’, wenn ‘hohl über die Fläche sauset der Wind’. Der Austauschbarkeit des romantischen Torfstechens wirkt Shih durch Pointierung einzelner Textzeilen entgegen: Bei der ‘Sünde, im gleichen Schoß gehegt’ schreien die Frauenstimmen auf, die Männer gedenken in Sekundreibungen der ‘stillen strengen Toten’. Immer wieder mischen sich die Solisten ein und bildeten ein expressives Quartett der entfesselten Elemente. Bis zuletzt bei den Worten ‘gen Himmel um Erlösung’ die Orchester-Röhrenglocken immer stärker durch den Raum dröhnen und Antwort vom hohen Turme erhielten. Im Geläut verhallte das Oratorium, ein starker Effekt. Enormer Beifall für Interpreten und Komponist - Westfalens Moore leben.“ (Sebastian Loskant - Münstersche Zeitung 14. 1. 1997)   Grenzenloser Jubel „Überwiegend düster und todtraurig gibt sich dieses (vermeintlich) lebend’ge Land, das der 1950 im chinesischen Taipeh geborene Shih in seinem Droste-Oratorium ausdeutet. Keine Heimatidylle, kein Frühlingsduft, stattdessen der Geruch von Tod, Vergänglichkeit und Resignation. Die Text-Collage, auf der Shihs Komposition basiert, hält nur kurze Lichtblicke bereit. Ansonsten dreht sich alles quasi um die ‘Ächzende Kreatur’. Flirrende Violinen, in chromatischen Linien schwelgende Celli, dunkle, erdenschwere Holz- und Blechbläser - Dirigent René Gulikers und die Instrumentalisten der Musikhochschulen Münster und Enschede tauchen die Lambertikirche in eine bedrückende Atmosphäre. Irgendwann meldet sich von hinten die große Orgel, subkutan mit den mächtigen Pedalregistern, ohrenbetäubend mit schmerzhaften Clustern, dazu tritt der Chor  (...) Am Ende der Droste-Vertonung steht die Erlösung. Erst tönen die Röhrenglocken (im Orchester), dann die Kirchenglocken (im Turm): ‘Gen Himmel um Erlösung’. Das Werk Shihs und dessen Präsentation wurden mit beinahe grenzenlosem Jubel aufgenommen.“ (Christoph Schulte im Walde - Westfälische Nachrichten 14. 1. 1997)