Werk

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RADULESCU Michael

Leiden und Tod unsres Herrn und Heilands Jesus Christus

Untertitel

Eine Passion für Alt- und Bass-Solo, Doppelchor und Instrumentalensemble

Erscheinungsdatum
2003
Dauer
64'
Bestell-Nr.
Leihmaterial

Keine Medien vorhanden

Beschreibung

Den Gedanken, eine Passion zu komponieren, trug Michael Radulescu seit langem mit sich; und ebenso lange zögerte er aus Respekt vor dem Passionsbericht, ihn umzusetzen. Auf Anregung seines einstigen Schülers, des jetzigen Grazer Domkapellmeisters Josef M. Doeller, entschloss er sich nun aber dennoch, die Leidensgeschichte zu vertonen, und er nahm sich dazu als Professor an der Wiener Musikuniversität ein Sabbatical Year, um das von der Gesellschaft der Domchorfreunde beauftragte Werk schaffen zu können. Die Textvorlage ist eine vom Komponisten selbst erstellte Kompilation der Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas. (Prospekt des Festivals „PSALM“ – Produktion im Auftrag von Graz 2003 – Kulturhauptstadt Europas) Michael Radulescu zu seinem Werk: Eine Fülle von Fragen hat sowohl die Vorbereitungen als auch die gesamte Arbeit an diesem Werk begleitet und verfolgt: Kann man nach Bach, und seine Musik kennend, heute noch den neutestament-lichen Passionsbericht vertonen? Welches Evangelium und welche Übersetzung kämen dafür in Frage, ohne zwangsläufig Anklänge an das gewaltige Bachsche Vorbild aufkommen zu lassen? Wie vertont man heute nachvollziehbar und noch verständlich eine „Handlung“, ohne die Secco-Rezitative des „Evangelisten“? Soll der Bericht gar nur gesprochen werden wie bei Penderecki etwa? Soll man einen Gegenwartsbezug des enorm komplexen und symbolisch dichten Geschehens herstellen und, wenn ja, wie, ohne in plumpe Platitüden zu verfallen? Die Textwahl fiel auf eine Kompilation aus den drei „synoptischen“ Evangelien: Matthäus, Markus und Lukas, die – als Gegenstück zu Johannes – bestens kombinierbar sind und einander ergänzen. Dafür wurden zwei jüngere Übersetzungen des Neuen Testaments herangezogen: jene von Fridolin Stier (1989, München/Düsseldorf) und jene von Carl Weizsäcker (1900 Tübingen/Freiburg i.Br./Leipzig), wobei der Klang und Duktus der Sprache selbst die jeweilige Entscheidung bestimmten. Dazu wurde, gleichsam als textlicher Kontrapunkt, das Lied „Mitten im Leben“ (Salzburg 1456, Martin Luther 1524) mitvertont und der Alt-Solostimme als „Klagender“ zugewiesen. Die Mehrschichtigkeit der Textvorlagen, nämlich als Bericht, als direkte Rede, als Betrachtung, war für die Besetzung des Werkes mitentscheidend: Alt-Solo (im Publikum aufgestellt), Baß-Solo als „vox Christi“, zwei gemischte Chöre, je zwei Flöten und zwei Kontrabässe zu jedem Chor, zwei Schlagzeug-Gruppen, vier Gamben und vier Posaunen. Das Tonmaterial des Werkes basiert auf siebentönigen Modi, die sich ihrerseits aus je zwei unterschiedlichen, in sich symmetrisch aufgebauten Tetrachorden zusammensetzen. In der Vertonung des Textes wird besonders auf die Syntax, auf die jeweilige Vokal-färbung, auf die Assonanz, auf den natürlichen bzw. stilisierten Rhythmus der Sprache Rücksicht ge-nommen. Der Ausgangspunkt dabei ist die frühmittelalterliche liturgische Vortragsweise der Evangelien: Die alten litterae significativae, welche elementare Vortragsbezeichnungen darstellen, finden ihren Niederschlag in der Variabilität der Bewegung und des Duktus, Rhythmus überhaupt; der vertonte Bericht wird seinerseits von neuen, aus dem jeweiligen Tongeschlecht sich ergebenden „Lektionstönen“ bestimmt. Hier kann die Sprache durch melismatische Anfangs- bzw. Endformeln „musiaklisiert“ werden oder gänzlich erstarren. Nicht das Erdenken „schöner Melodien“ ist das technisch-musikalische Hauptziel in diesem Werk, sondern die Möglichkeit einer Verschmelzung von Wort und Klang wird angestrebt – förmlich als Resonanz – bis hin zu einer neuempfundenen, aus dem alten Griechenland herüber leuchtenden mousiké.

Rezension

Michael Radulescus Passion hat an Eindringlichkeit seit ihrer Uraufführung 2003 in Graz nichts eingebüßt. Bis ins Mittelalter langt ihr musikalischer Geist, wie die neuerliche Aufführung im Dom unter Radulescus Leitung durch die erweiterte Domkantorei zeigt. Kein Übergewicht der Musik vor überpersönlichen Formen des Psalmodierens oder Rezitierens: Subtile musikalische Überhöhungen, aus sparsamem Skalenmaterial gewonnen, setzen Akzente, bilden tiefe Symbole, statt vordergründige Affekte abzurufen. Flatterzungen der Posaune und Flöte begleiten wie Teufelsfratzen die Verhöhnungen von Jesus. Pia Rose Hansen (Mezzosopran) und Ulf Bästlein (Bassbariton) fügen sich wunderbar organisch ins wache Musikerkollektiv. (Herbert Schranz, Kleine Zeitung Graz 18.3.2013)