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CERHA Friedrich

Quintett für Klarinette und Streichquartett

Erscheinungsdatum
2004
Dauer
21'
Schwierigkeitsgrad
23
Bestell-Nr.
06 817

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Beschreibung

Das Problem des Verhältnisses eines Einzelnen zu einer Gemeinschaft, das mich mein ganzes Leben hindurch beschäftigt hat und für mich verwurzelt ist in den von Nationalsozialismus und Krieg überschatteten Erlebnissen meiner Kindheit und Jugend, habe ich in meinen Opern (Baal, Der Rattenfänger, Der Riese vom Steinfeld) konkretisiert. Seit 2002 hat mich das Aufgreifen dieses Verhältnisses in einem rein musikalischen Bereich besonders intensiv beschäftigt; es hat mich gereizt, die charakteristische Substanz eines Instruments einem Kollektiv gegenüberzustellen bzw. beides aufeinander wirken zu lassen. So ist in den folgenden Jahren ein Saxophonkonzert, ein Violinkonzert, das Klarinettenquintett und ein Stück für Posaune und Streicher entstanden.   Über die Anregung der [französischen Großbank, Anm.] BNP Paribas, für das Quatuor Ysaÿe ein Streichquartett zu schreiben, und mein erwähntes Interesse der Gegenüberstellung eines Instruments und eines – in diesem Fall besonders homogenen – Klangkörpers hinaus haben eine besonders schöne Aufführung des Mozartschen Klarinettenquintetts (KV 581) und meine Erinnerung an den wunderbaren Paul Meyer dazu geführt, mich für diese Besetzung zu entscheiden. Nicht dass mich Mozart musikalisch beeinflusst hätte (was auch nicht schlimm gewesen wäre); meine Sprache ist frei von Allusionen an die seine. Aber das klangliche Wechselspiel von Klarinette und Streichquartett hat mich gefessel, und so habe ich die Möglichkeiten der Interaktion dieser beiden Elemente in meiner Phantasie weitergedacht. Im ersten Satz sind die Abschnitte symmetrisch um eine Achse angeordnet. Der Charakter des ersten –„stürmisch“ überschrieben – kehrt am Schluss verkürzt und variiert wieder. Der Abschnitt im Zentrum verarbeitet Elemente aus diesen Teilen. Um ihn herum – vorher und nachher – steht ein kantabler, lyrischer Charakter in langsamerem Tempo. Auch der zweite Satz ist in gewisser Hinsicht symmetrisch gegliedert, allerdings komplizierter – mit vielen Übergängen und freien Varianten. In der Mitte steht ein bewegter Teil des Streichquartetts, der von Sechzehntelgängen der Klarinette umspielt wird. Der erste und der letzte Abschnitt sind von ruhigem und langsamem Charakter. Dass im Verlauf des Stücks wiederholt unterschiedliche Varianten einer Floskel aus dem Rattenfänger auftreten, hat wohl damit zu tun, dass ich, als ich das Stück in meinem Kopf erdacht habe, den Proben meiner Oper in Darmstadt beiwohnte und mich diese Floskel obsessiv verfolgt hat. Dass die Wurzel eines melodischen Motivs, das einmal in der Geige, ein zweites Mal in der Klarinette auftaucht, schon in meinem Netzwerk aus den 60er-Jahren liegt, habe ich erst später entdeckt. (Friedrich Cerha)  

Rezension

„Eine Sternstunde! Die exzellenten Streicher des Quatuor Ysaye und der Klarinettist Paul Meyer spielten Mozart, Debussy und – als Attraktion des Abends – die Auftragskomposition der BNP Paribas, die Uraufführung Friedrich Cerhas Quintett für Klarinette und Streichquartett. Mit tiefem Ernst und atmosphärischer Dichte werden die mitunter kargen, mitunter auch hart-schneidenden Texturen des Werks umgesetzt. Hinreißend die erregte, flimmernde Hektik des ersten Satzes sowie die dazu kontrastierende Ruhe einer merkwürdig fremden Kantilene mit ätherisch entrückt anmutender Melodieführung im anschließenden Satz. (…)“  (Florian Krenstetter – Kronenzeitung, 8.5.2006)   „Ein fulminanterer Start ist kaum vorstellbar: Von der ersten Sekunde an war das Konzerthaus-Debüt des Quatuor Ysaye ein Bad im klanglichen Luxus. (…) Cerha ging es darum, ein Spannungsverhältnis zwischen Klarinette und Ensemble herauszuarbeiten. Meyers Instrument schwimmt nur deshalb streckenweise mit im Strom, damit es umso deutlicher daraus wieder auftauchen kann. Wieder gelang es Cerha trotz seines Faibles für ausgefeilte Konstruktionen, ein aufs erste Hören fassliches, hoch-expressives Werk zu schreiben. (…)“  (hd – Die Presse, 27.4.2006)   „(…) Es ist ein elegantes, homogen wirkendes Opus, dessen erster Satz aufgeladen beginnt, wie ein Wettlauf zwischen dem souveränen Klarinettisten Paul Meyer und dem tadellosen Quatuor Ysaye wirkt, später Momente der Ruhe aufweist, aber abrupt endet. Schummrig, leise der zweite Satz, pizzicatolastig und tänzelnd der dritte und glutvoll-stürmisch das Finale, das mit einem witzigen Schlenker endet. Die Klarinette löst sich in diesem Werk aus dem Kollektiv, taucht in dieses wieder ein; auf Basis einer gedehnten Tonalität thematisiert Cerha, wie er sagt, das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft. Einmal abseits der Oper, aber eindringlich.“ (Ljubiša Tošic – Standard, 27.4.2006)   „(…) Das viersätzige Werk erschließt sich dem Hörer auf Anhieb. ‚Stürmisch’ und aufgeladen beginnt es, immer wieder löst sich die Solostimme aus dem Kollektiv, sie hat schon im ruhigeren, fast choralartigen Abschnitt des um eine Symmetrieachse angeordneten ersten Satzes, noch mehr im variantenreichen zweiten (‚sehr ruhig’) über delikaten Klangflächen fast ‚sprechende’, lyrisch-kantable, berührend expressive Melodielinien zu vollführen. Das rhythmisch spannende ‚Intermezzo’ des dritten Satzes, von den Streichern überwiegend im Pizzicato auszuführen, in dem die Klarinette als fünfte Stimme des Streicher-Pizzicato imitieren muss, ist ein weiteres gelungenes Beispiel für den pointenreichen, ja fast burlesken Tonfall, den Cerha gerade in neueren Werken anzuschlagen versteht – wobei der organische Formverlauf nie aus den Augen verloren wird. Witzig und wirkungssicher endet auch der vielgliedrige Finalsatz, der mit virtuosem neuen Material aufwartet, zwischendurch auch mit Erinnerungen an Charaktere der vorangegangenen Sätze. Eine überaus feine Kammermusik, und eine, wie das Uraufführungsensemble mit einer Wiederholung des ‚Intermezzo’ als Zugabestück bewies, überaus dankbare Aufgabe für ambitionierte Solisten: Mit solcher Musik kann man ein Publikum erobern und begeistern.“   (H. R. - Österr. Musikzeitschrift 6/2006)   Friedrich Cerha ist neben Originalität vor allem durch Vielseitigkeit seiner Kompositionen verschiedenster Methodik bekannt. Mit avantgardistischer Feder führt er den Spieler in diesem Quintett durch Verzweiflung und die sphärischen Breiten des Lebens. Während die Streicherstimmen den Charakter kontrollierender, metrumgebener Wellen widerspiegeln, vollzieht die Solostimme der Klarinette eine gekonnt akzentuierte bis aufbrausende, energische Reise zum Ende. Diese scheint aus der Bewegung eines Tropfens Milch in einem Glas Wasser zu stammen. Die Gesamtbotschaft vermittelt, dass das Leben aufgrund mangelnder Kontinuität scheitern kann. Die spielerische Freiheit, geführt von klarer Tempivorgabe seitens des Komponisten und die anspruchsvollen Einzelstimmen ergeben in ihrem Zusammenspiel für Profimusiker einen Spielgenuss der besonderen Art! (Hagen Andert, NMZ 4/2011)