CERHA Friedrich
Sonate Nr. 2 für Violine und Klavier
Beschreibung
Die Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 von Friedrich Cerha lässt deutlich die stilistischen Tenden-zen der Entstehungszeit nachvollziehen. Spricht aus der ersten Violinsonate (1947) noch ein Neoklas-sizismus Hindemithscher Prägung, so nimmt in den folgenden Jahren der Einfluss Strawinskys zu – eine Entwicklung, die sich anhand des Triptychons für solistische Bläser und Streichorchester (1948/51) oder des Divertimentos fürBläser und Schlagzeug („Hommage à Strawinsky“, 1948/54) dokumentieren ließe. Cerhas analytische Auseinandersetzung mit Strawinskys Duo Concertante brachte schließlich wesentliche Anregungen für die Enstehung der zweiten Violinsonate mit sich. Beim Kopfsatz dieses Werkes handelt es sich formal gesehen um eine Sonatenform mit verkürzter Reprise, wobei die Introduktion (Largo espressivo) den Rahmen bildet, der am Schluss des dritten Satzes wiederkehrt und den gesamten Sonatenzyklus abrundet. Motivische Prägungen der Introduktion treten auch im weiteren Verlauf des Satzes immer wieder als erkennbare Varianten hervor. Hauptthema und Seitenthema sind ebenso durch kontinuierliche Bewegungsmuster bestimmt wie die Stei¬ge¬rungs-anlage der Durchführung. Die Einheitlichkeit des Satzbildes äußert sich auch im gänzlichen Fehlen einer Schlussgruppe und im rudimentären Auftreten des Seitenthemas in der verkürzten Reprise. Ein gregorianischer Choral, den Cerha in San Miniato al Monte (Florenz) hörte, zählte seiner eigenen Aussage nach zu den größten Eindrücken, die er auf einer ausgedehnten Italienreise im Jahr 1951 sammeln konnte. Die charakteristischen Spannungsverhältnisse der Phrasen und die Ausgeglichenheit dieser Musik beeindruckten Cerha und waren von entscheidender Bedeutung für die Konzeption des zweiten Satzes (Fließend, sehr ebenmäßig), in dem sich der Duktus der Musik aus einem Ineinander-fließen von zumeist elftönigen Phrasen konstituiert. Ferner bestehen übergreifende Analogien zu anderen frühen Werken Cerhas: der Themenkopf, in dem von ferne das „Te Deum“ anklingt, korrespondiert mit dem Beginn des ersten Satzes der Sonate für Bratsche und Gitarre (1951). Gleichzeitig nimmt der Mittelteil Bezug auf den Sonnengesang des Heiligen Franz von Assisi für Soli, gemischten Chor, Harfe und Streichorchester (194952). Der dritte Satz (Vivace) bildet eine variierte zweiteilige Form. Zu Beginn werden einander die Akkord-schläge aus der Introduktion und die rhythmische Kontinuität des Kopfsatzes unmittelbar gegenüber-gestellt. Weite Teile dieses Satzes basieren auf der achtstufigen Halbton-Ganzton-Skala, die in ver-schiedenen Schaffensperioden Cerhas von Bedeutung ist (so etwa in den 1995 komponierten Hölderlin-Fragmenten für Streichsextett). Der Bogen zur Introduktion schließt sich am Ende in hellem Cis-Dur. Lukas Haselböck
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