Werk

Noten
suchen und finden

BISCHOF Rainer

Sonnengesang für Tenor und Klaviertrio (Il Cantico di Frate Sole)

Untertitel
nach Franziskus von Assisi
Erscheinungsdatum
2011
Bestell-Nr.
38 801 (in Vorbereitung)

Keine Medien vorhanden

Beschreibung

Der „Cantico di frate sole“, der so genannte Sonnengesang des Franziskus von Assisi mit seinem Lobpreis Gottes und seiner Schöpfung zählt als Gebet ebenso wie als literarisches Werk zu den bekanntesten Kulturzeugnissen des frühen 13. Jahrhunderts. Wahrscheinlich entstand er im Winter 1224/25, als Franziskus im Kloster San Damiano eine ernste Krankheit durchzustehen hatte. Nach dem Bericht des Thomas von Celano, Franziskaner und Biograph des Heiligen, hat Franziskus das Gedicht von zwei Mitbrüdern singen lassen, als er 1226 auf dem Totenbett lag; zu diesem Zeitpunkt, vermutet die Forschung, hatte der Sonnengesang jedenfalls seine endgültige Gestalt erreicht, durch die Einfügung des Preises jener, die Krankheit und Drangsal in Frieden ertragen – sowie vor allem des Todes. Rainer Bischof verbindet seit langem nicht nur eine enge Freundschaft, sondern auch eine intensive, fruchtbare musikalische Zusammenarbeit mit den Mitgliedern des Jess-Trios. Als die Geigerin Elisabeth Jess-Kropfitsch den Komponisten mit der spontanen Aufforderung überfiel, er solle doch für das Jess-Trio ein Werk für Klaviertrio mit Tenor schreiben, weil sie und ihre Brüder und Musikerkollegen in Daniel Johannsen einen hervorragenden Sänger gefunden hätten, war Bischof nicht um einen geeigneten Text verlegen. Denn mit dem Sonnengesang des Franziskus befasst er sich schon seit seinem 15. Lebensjahr. Als Jugendlicher war Bischof nach dem Tod seiner Mutter bei den Kapuzinern „ein- und ausgegangen“, wie er selbst sagt, und trug sich auch mit dem Gedanken, in den „Ordo Fratrum Minorum Capucinorum“ einzutreten – also in einen jener Orden, die sich von Franziskus herleiten. Unter den zahlreichen Vertonungen schätzt Bischof jene von Franz Liszt (in mehreren Besetzungsvarianten) als eine der interessantesten ein – nicht ohne anzumerken, dass bei ihr die dem Tod gewidmete Textstelle ausgespart werde.  „Nicht nur das Leben des heiligen Franziskus, sondern seine Lebensanschauung hat mich schon immer fasziniert“, bekennt Bischof, „ohne dass ich damals den geistigen Hintergrund verstanden hätte: Hinter dem Sonnengesang steckt nämlich die ganze Philosophie des Mittelalters.“ Nur zu verständlich, dass dem Komponisten und Philosophen deshalb gegen den Strich geht, dass an Franziskus vielfach nur seine naturverbundene Frömmigkeit rezipiert und ihm teilweise als Glaubensnaivität ausgelegt wird. Statt dessen sieht Bischof Franziskus gerade mit seiner im Sonnengesang ausgedrückten Schöpfungsidee inmitten jener großen Tradition, die von Aristoteles über Maimonides (um 1200) im maurischen Cordoba direkt in die scholastische Lehre des Thomas von Aquin eingeflossen ist. „Franziskus hat Maimonides wohl nicht gekannt“, räumt Bischof ein, „und Thomas wurde erst zur Zeit von Franziskus‘ Tod geboren. Dennoch: Im Sonnengesang findet sich auf unglaubliche Weise das gesamte mittelalterliche Denken zum ersten Mal zusammengefasst!“ Demnach spiegelt sich die absolute Vollkommenheit Gottes in der Gesamtheit und im Zusammenwirken aller Geschöpfe – weshalb Franziskus ja auch alle wesenlosen Elemente als Geschwister bezeichnet, beginnend mit den berühmten Anrufungen von „Bruder Sonne“ und „Schwester Mond“. Zudem, und dieser Aspekt hat direkten Einfluss auf die textliche Gestaltung, gilt der „Cantico di frate sole“ als eine der ersten, wenn nicht überhaupt die erste Dichtung aus der Frühzeit der italienischen Sprache. Bischof hat das Original mit verschiedenen deutschen Übertragungen sowie diese untereinander verglichen und ist schließlich zu einer kreativen Mischform aus allen diesen Komponenten gelangt, die seiner Komposition zugrunde liegt: Von Phrase zu Phrase, manchmal sogar von Wort zu Wort wechselt der Tenor zwischen Altitalienisch und Deutsch. „Dort wo mir der Ausdruck, die Expression des Italienischen in der Gesangsstimme entgegenkam und das Deutsche zu hart, zu wuchtig erschien, habe ich das Italienische gewählt. Und dort, wo es auch im Deutschen ausnehmend schöne Phrasen gibt, singt der Tenor deutsch“, erklärt Bischof seine aus dem Klang des Textes abgeleitete Vorgehensweise – und zielt damit auf eine Sprachen, Kulturen und historische Umstände (oder auch Fesseln) transzendierende Wirkung seines Werks. Das teilt sich auch in musikalischen Allusionen mit, die stellenweise den gregorianischen Choral ebenso in Erinnerung rufen wie etwa einen Trauermarsch-Gestus. „Marcia funebre -  streng wie ein Kondukt“ so und ähnlich lauten da etwa die Vortragsbezeichnungen im charakteristischen 6/8-Takt.  Der Sonnengesang ist hier in elf Abschnitte gegliedert, wobei erster und letzter mit den Titeln „Lobpreisung“ und „Lobpreisung/Dank“ den von Bischof so geliebten reprisenartigen Rahmen schaffen. Dazwischen folgen die Abschnitte „Gott“, „Sonne“, „Mond – Sterne“, „Luft“, „Wasser“, „Feuer“, „Erde“, „Menschen“ und „Tod“, in denen er der unter seinem Zugriff geschmeidigen Zwölftontechnik zahlreiche expressive tonmalerische Andeutungen entlockt, die den Textgehalt in sublimierter Weise reflektieren. Die Singstimme folgt dabei fast durchgehend der zugrundeliegenden Zwölftonreihe in ihren 48 Modi und betont damit das melodische Element der Dodekaphonie, wobei der Ambitus vom mehrfach zu erklimmenden hohen B bis zum kleinen a reicht (am Ende der Phrase „Laudato si, mi signore, per sora nostra morte corporale“). Im vielfältig-expressiv eingesetzten Klaviertrio ist die Reihentechnik dagegen in Gruppen organisiert, die sich dehnen oder ballen. Wichtig ist freilich noch eine rhythmische Reihe, die ein zentrales Thema des Werks einfasst und dadurch gleichzeitig fassbar macht: Eine Triole ist dabei auf einer Seite von einer Einzelnote, auf der anderen von eine Pause flankiert. Je nach Bewegungsrichtung (in Urgestalt oder Krebs) wirkt die Triole somit durch die Pause isoliert oder erscheint in Verbindung mit der vierten Note. Ließe sich die Triole als Symbol für die göttliche Dreieinigkeit interpretieren, wäre die Einzelnote der Mensch. „Das ist die alte Frage: Gibt es Gott? Gibt es Gott ohne den Menschen? Oder nur durch und mit ihm?“, erklärt Bischof den dadurch ins Werk gesetzten Gedanken. Triolenfiguren spannen über die ganze, vielfach im 5/4-Takt notierte Komposition ein dichtes und doch gleichzeitig ungemein lockeres, durchlässiges Netz, das sich vor allem im letzten Abschnitt der Komposition schwebend von allen metrischen Fesseln lösen soll. Passenderweise entstanden große Teile des Werks in Spanien in klösterlichem Umfeld, weshalb Rainer Bischof seinen „Cantico di frate sole“ dem Benediktiner-Convent Santo Domingo de Silos „in Dankbarkeit und Verbundenheit zugeeignet“ hat. Walter Weidringer