Werk

Noten
suchen und finden

URBANNER Erich

Streichquartett Nr. 5

Erscheinungsdatum
2001
Besetzung
Streichquartette
Dauer
21'
Bestell-Nr.
06 179 / Stp. 711

Keine Medien vorhanden

Beschreibung

Keine andere Gattung durchzieht das Schaffen von Erich Urbanner so konsequent wie jene des Streichquartetts. Ausschlaggebende für diese Vorliebe mag die bei dieser Besetzung anzutreffende Verbindung eines reichen klanglichen Spektrums und einer Vielzahl spieltechnischer Möglichkeiten mit der Intimität und Verinnerlichung des Ausdrucks sein. Bezeichnend, dass bereits das erste für gültig befundene Werk ein sehr emotional gehaltenes Streichquartett ist (1956). Kurz darauf gewann der Komponist mit seinem als Hausmusik gehaltenen zweiten Streichquartett den Kompositionswettbewerb aus Anlass 100-jährigen Bestehens des Musikhauses Doblinger (1957). Die Streichquartette Nr. 3 und Nr. 4 schließlich entstanden 1972 bzw. 1992 für das Alban Berg Quartett, das diese Stücke bleibend ins Repertoire nahm. Es entspricht einer naheliegenden Konsequenz, dass das Streichquartett Nr. 5 durch das Hugo Wolf Quartett, ein Schüler-Quartett der Bergs in Auftrag gegeben wurde. Somit lässt sich der Entstehungsprozess der Quartette auch in Bezug zu einer aufführungsgeschichtlichen Kontinuität setzen. Seit dessen Kindheit mit der Familie des Primgeigers Jehi Bahk engstens verbunden, gründet Urbanners Verbindung mit dem Hugo Wolf Quartett aus einem Workshop, bei dem man gemeinsam György Ligetis zweites Streichquartett erarbeitete. In Anbetracht des Potenzials der jungen Musiker sah sich bei der Arbeit an seinem Quartett im besten Sinn zur Mobilisierung seiner „letzten Reserven“ (Urbanner, 2003) herausgefordert. In ungewöhnlicher Weise für den primär absoluten musikalischen Strukturen verhafteten Komponisten, mengen sich in das Quartett sehr persönliche Gedanken, die das Wort vom „Bekenntniswerk“ nahe legen. Ausschlaggebend dafür mag die Zahl Fünf sein, zu der es Urbanner nach eigener Aussage stets hintrieb und der er sich nun innerhalb seines OEuvres auf dem Gebiet des Streichquartetts erstmals zu stellen hatte (jeweils vier Werke gibt es im Bereich der „Improvisationen“ und der Klavierkonzerte). Der spätestens seit Beethovens fünfter Symphonie musikhistorisch „belasteten“ Zahl misst Urbanner auch bei sich schicksalhafte Bedeutung zu. Als prägnantestes Element ist in dieser Hinsicht das durchgängig präsente Pochen hervorzuheben, das beinahe im programmatischen Sinn als steter und teils allzu rasender Lauf der Zeit zu deuten ist. – Urbanner: „Ab einem gewissen Alter hört man zu gewissen Zeiten das Herz pochen.“ – Der übergeordnete Gedanke des Hinwegfegens vieler Dinge durch die Zeit und der Versuch des Rettung dessen, was einem wesentlich erscheint, findet seine musikalische Entsprechung in den melodischen Verläufen. Immer wieder wird versucht das immer rascher Ablaufende festzuhalten, im Schlussteil kommt es geradzu zu einem Festklammern am Bestehenden, was in monomotivischer Gestaltung Ausdruck findet. Als formales Gerüst weist das fünfte Quartett eine Dreiteilung in Exposition, Mittelteil und Reprise auf. Diese Abschnitte sind ihrerseits jeweils zweigespalten, wobei in diesen zwei zueinander kontrastierenden Artem der Darstellung auch ein Symbol für die Zweispaltung als prinzipieller „menschlicher Zug“ und das Aufzeigen von Alternativen zu sehen ist. Gleich der Beginn (Andante) weist vom Violoncello ausgehend das beschriebene Grundpochen auf, das auch umgehend Beschleunigung erfährt. Diese „scharfe“ Attacke prägt mit einer weiteren, „weichen“ bzw. gebrochenen Attacke die folgenden Entwicklung der strukturellen Zusammenhänge. In Bezug zum eröffnenden Pochen scheint der Zeit-lauf mit einer Art Zeitrafferbewegung durch. In der zweiten Darstellungsform des Expositionsteils wird das Attackenhafte mit dem Zeitraffer überlagert (Scherzando). In kompositorischer Konsequenz kommt es zu einer deutlichen Verdichtung des Geschehens. Eine Violinkadenz leitet in eine Art lyrischers „Seitenthema“ über (Moderato cantabile). Dieses greift das Material des Beginns auf, weist aber schwingende, weichere Beziehungen auf und geht in breit harmonisch fließendem Satz in gro-ßintervallige Melodik über. Im Attackencharakter erfolgt schließlich die Überleitung zum Mittelteil (Con spirito). Als Kern der melodisch-motivischen Gestaltung erfolgt eine Auseinandernahme der großen Intervalle, die nun mit den kleinen Intervallen des Beginns verbunden werden. Dazu treten im Sinn des Zeitraffers kurze Motive, und auch ein steter Taktwechsel bringt zusätzlich Belebung. Die Aufspaltung in Zweierkomplexe lässt jeweils zwei Instrumente parallel das Gleiche oder in Spiegelform spielen. Als eine Art „Höhepunkt“ wird das Prinzip des Isorhythmischen bis zum Gleichlauf aller Stimmen geführt. Als Intermezzo innerhalb dieses Mittelteils fungiert ein „Dolce luminoso“, dem eine ausschließlich farbliche Aufgabe (Flageoletts, Pizzikati, Tonrepetitionen) zugedacht ist. Mit einer zweitaktigen Violakadenz und einem Aufwärtslauf der ersten Geige schließt die Fortsetzung des Mittelteils an (Mobile). Die Bewegungselemente werden immer hektischer – Ausdruck von Schnelllebigkeit und Verwirrung – und geben den früheren lyrischen Elemente wenig Gelegenheit zur Entfaltung. Lediglich die Klangfarben fangen noch etwas davon auf und sorgen so dafür, dass dieses Element erhalten bleibt. Wenige Punkte des Innehaltens (der „Stille“) geben gedanklich Gelegenheit zum Durchatmen, das Zeitelement sorgt jedoch für anhaltend hektischere Bewegung. Das Halten von Werten wird zu einer Art „Überlebensstrategie“; gleichzeitig ermöglicht es die Differenzierung der Melodie, die dabei sämtliche Instrumente durchwandert. Mit der solcherart „geretteten“ Melodie schließt der Abschnitt und die Reprise wird eröffnet (Affetuoso). Das Material erscheint hier einerseits reduzierter, gleichzeitig aber im Einsatz intensiver. Auch werden die in der Exposition auftretenden Kadenzabschnitte nun von Anfang an eingegliedert. Die Attacken bleiben zunächst in ihrer Brechungsform und daher quasi unbemerkt, treten jedoch in einem „piu mosso“-Teil wieder in spürbar pochender Form auf. Als Abänderung der Folge in der Exposition, wo das Material zunächst in seinen beiden gespaltenen Formen präsentiert und anschließend lyrisch kontrastiert wird, schiebt sich in der Reprise bereits jetzt der lyrischere Teil ein (Animato). Zur Hebung des Kontrastes verwenden die Instrumente dabei den Dämpfer; als Ausdruckselement kommt auch Rubato hinzu. Die Bewegungen werden filigraner, die Spielweise geht ins „sul ponticello“ über, der Satz erhält fast impressionistischen Charkater, bis alles schließlich in einem irisierenden Klangfeld mündet. Nach dessen Auflockerung kommt es zu einem Spiel mit Diminuition und Augmentation, wobei immer kurze gegen lange Elemente gesetzt werden. Der zweite Hauptteil der Reprise (Giusto) hebt nun wieder die Schärfe des Beginns hervor. Taktwechsel erhöhen die Bewegung und führen zu einem rhythmischen Vorwärtsdrängen. Unabhängig von der Idee von Exposition und Reprise fungiert das „con spirito“ der Exposition nun als Coda. Bei reduziertem Material und veränderter Spielweise dient als Basis eine freie Violoncellolinie. Enge Verzahnung der Stimmen deutet ein krampfhaftes Zurückhaltenwollen an. Nach dem Höhepunkt dieser Entwicklung leitet eine Kadenz des Violoncellos zu den hämmernden Schlussakkorden. Christian Heindl

Inhalt

 

Rezension